Indexierung von Familienbeihilfe und Absetzbeträgen unionsrechtswidrig

Seit der Einführung der Indexierung der Familienbeihilfe und zahlreicher Absetzbeträge war umstritten, ob diese Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Diese Frage wurde durch das Urteil des EuGH vom 16.6.2022 nun endgültig geklärt. Zu welchem Ergebnis der EuGH kam und ob Sie vom Urteil des EuGH betroffen sind, erfahren Sie in diesem Beitrag. 

 

Die Rechtslage ab 1.1.2019

Aufgrund der steigenden Mobilität von Arbeitnehmer:innen kommt es häufig vor, dass die Kinder von (vorübergehend) in Österreich arbeitenden Eltern(teilen) in einem anderen Land als ihre Eltern leben. Mit Wirkung zum 1.1.2019 hat die österreichische Bundesregierung daher beschlossen, die Familienleistungen für Kinder, die dauerhaft in einem anderen EU- oder EWR-Staat als Österreich bzw. in der Schweiz leben, an die Lebenserhaltungskosten des Wohnsitzstaats des Kindes anzupassen. Neben der Familienbeihilfe, dem Kinderabsetzbetrag und dem Familienbonus Plus sind auch der Alleinverdiener- bzw. Alleinerzieherabsetzbetrag sowie der Unterhaltsabsetzbetrag von der Indexierung betroffen. Dabei ist sowohl eine Anpassung an höhere als auch an geringere Lebenserhaltungskosten im Wohnsitzstaat des Kindes vorgesehen. Einen höheren Indexfaktor haben beispielsweise Frankreich, Norwegen und die Schweiz. Staaten mit einem niedrigeren Indexfaktor sind beispielsweise Deutschland, Italien und Tschechien. In Österreich arbeitende Eltern haben daher seit 2019 Sozial- und Familienleistungen erhalten, die an die Lebenserhaltungskosten des Wohnsitzstaats ihrer Kinder angepasst sind.

Seit der Einführung der Indexierung war umstritten, ob diese Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Die Europäische Kommission vertrat die Ansicht, dass die österreichische Indexierung der Familienbeihilfe und der diversen Absetzbeträge nicht mit dem Unionsrecht im Einklang steht und brachte im Zuge eines Vertragsverletzungsverfahrens im Mai 2020 Klage gegen die Republik Österreich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein. Über diese Klage wurde vom EuGH am 16.6.2022 entschieden.

 

Das Urteil des EuGH vom 16.6.2022

Der EuGH stellte in seinem Urteil fest, dass die Republik Österreich mit der Indexierung der Familienleistungen gegen die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie gegen die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer:innen innerhalb der Union verstößt.

Die vorgenommene Indexierung ist gemäß dem Urteil des EuGH aus mehreren Gründen unionsrechtswidrig. Zum einen ist es innerhalb der EU nicht gerechtfertigt, Ansprüche der sozialen Sicherheit vom Wohnort der betreffenden Person abhängig zu machen. Nur in besonderen Fällen kann der Wohnort berücksichtigt werden - vor allem bei besonderen Leistungen, die an das wirtschaftliche und soziale Umfeld der betreffenden Person gebunden sind. Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten rechtfertigen nicht, dass Familienleistungen an Erwerbstätige, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, in anderer Höhe geleistet werden als an jene Erwerbstätige, deren Familienangehörige in Österreich leben. Zum anderen variieren die Familienleistungen nicht entsprechend der tatsächlichen Lebenserhaltungskosten oder der tatsächlichen Unterhaltskosten, sondern werden pauschal nach Anzahl und Alter der Kinder gewährt, ohne den tatsächlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

Da das maßgebliche Kriterium für die Höhe der Familienleistungen und der sozialen und steuerlichen Vergünstigungen der Wohnsitzstaat der Kinder ist, sind Wanderarbeitnehmer:innen von der Indexierung stärker betroffen als inländische Arbeitnehmer:innen. Die Indexierung stellt daher eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, die nur zulässig ist, wenn sie objektiv gerechtfertigt ist. Da die Familienleistungen nicht nach Maßgabe der tatsächlichen Kosten für den Unterhalt der Kinder festgesetzt, sondern pauschal ermittelt werden und Wanderarbeitnehmer:innen zur Finanzierung der sozialpolitischen Maßnahmen in gleicher Weise wie inländische Arbeitnehmer:inenn beitragen, ohne dass hierbei Rücksicht auf den Wohnsitzstaat des Kindes genommen wird, ist die Diskriminierung nicht gerechtfertigt.

 

Folgen des EuGH-Urteils

Da die österreichischen Indexierungsbestimmungen mit dem EU-Recht nicht vereinbar sind, sind sie ab sofort nicht mehr anzuwenden.

Die Republik Österreich muss nun einen unionsrechtskonformen Zustand herstellen und die in zu geringer Höhe ausbezahlten Familienleistungen an die Betroffenen nachzahlen. Ob die Nachzahlung automatisch erfolgt oder ob ein Antrag auf Nachzahlung gestellt werden muss, bleibt abzuwarten. Im Bundesministerium für Finanzen werden derzeit alle notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung des EuGH-Urteils getroffen und Betroffene werden gebeten, aktuell von einer Antragstellung an die österreichischen Behörden abzusehen. Es ist im Moment ebenfalls noch nicht bekannt, ob es in jenen Fällen, in denen ein zu hoher Betrag an Familienbeihilfe ausbezahlt wurde, zu einer Rückforderung des Mehrbetrags kommt und in welcher Weise eine derartige Rückforderung abgewickelt wird.

 

Fazit

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 16.6.2022 die Indexierung der österreichischen Familienleistungen als unionsrechtswidrig qualifiziert. Die Republik Österreich muss nun einen unionsrechtskonformen Zustand herstellen. Die weitere Vorgehensweise hinsichtlich der Nachzahlungen und gegebenenfalls Rückforderungen ist derzeit noch offen.

 



Autor:innen:

Cornelia Stangl
cornelia.stangl@bdo.at
+43 5 70 375 - 1194
 

Philipp Sabukoschek
philipp.sabukoschek@bdo.at
+43 5 70 375 - 1526

 

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